
Weiter geht es auf den Spuren von Douglas Adams und Mark Carwardine zu „den Letzten ihrer Art“. Ihr nächstes Reiseziel war die Insel Komodo in Indonesien, zwischen Sumbawa und Flores gelegen, Heimat des
Komodowarans
(Varanus komodoensis).
Es ist unmöglich, eine Geschichte über den Komodowaran zu schreiben, ohne zu erwähnen, dass dieser das lebende Vorbild des feuerspeienden Drachen der chinesischen Mythologie sei, was hiermit geschehen ist. Aber obwohl es durchaus möglich ist, dass chinesische Händler auf ihren Fahrten in die indonesische Inselwelt schon vor langer Zeit vom Komodowaran erfahren haben, glaube ich nicht, dass sie für ihre Mythologie eines solchen realen Vorbildes bedurft hätten. Drachen gab es schliesslich überall: in Babylon, im Alten Testament und bei den Wikingern. Sei’s drum!
Gewiss wussten aber die Einwohner der kleinen Sundainseln von der Existenz des Warans. Und auch die Holländer hätten schon lange davon wissen können. Schliesslich kontrollierten sie seit etwa 1600 den Gewürzhandel auf der Ostindienroute, nachdem zuvor die Portugiesen dieses Monopol innegehabt hatten. Und auch am Interesse für die Tier- und Pflanzenwelt dieser exotischen Inselwelt mangelte es ihnen von Anfang an nicht. Das Goldene Zeitalter der Niederlande, als mit der Niederländischen Ostindien-Kompanie die erste Aktiengesellschaft der Welt entstand und Holland über fünfmal so viele Schiffe verfügte wie England, hatte in den Kaufmannsstädten zwischen Rheinmündung und Zuiderzee eine Menge neureicher Kaufleute hervorgebracht, die, anders als der Erbadel, ihren Reichtum nicht für die Verwaltung ihres Grossgrundbesitzes einsetzen konnten und daher buchstäblich nicht wussten, wohin mit dem ganzen Geld. So verfielen viele der Sammelleidenschaft. Die einen deckten sich mit Gemälden ein, von denen in dieser Epoche Millionen angefertigt wurden. Andere verprassten ihr Vermögen bei der Spekulation auf Tulpenzwiebeln. Und wieder andere legten sich Kuriositätenkabinette und Naturaliensammlungen an.
Die Matrosen und Seeleute auf den Ostindienfahrern lernten schnell, dass sie für ihre Reisemitbringsel – heute würde man Souvenirs sagen – in den holländischen Hafenstädten gute Preise verlangen konnten. Man wusste damals in Europa nicht viel über exotische Länder, und praktisch alles, was von dort kam, war neu, überraschend, ungewöhnlich und staunenswert. Schon bald schleppten die Seefahrer nicht nur Kunstgegenstände und Artefakte an, sondern auch exotische Tiere und Pflanzen. Ausgestopfte Vögel, vor allem Paradiesvögel, Häute und Felle, Schneckengehäuse und Muschelschalen, Skelette, Schildkrötenpanzer, Korallen, getrocknete Schmetterlinge, gepresste Pflanzen, Samen und Nüsse – kurz, alles was Aussichten hatte, die lange Rückreise zu überstehen, wurde mitgenommen und in der Heimat für gutes Geld an reiche Sammler verkauft. Manch ein Matrose mag da mehr verdient haben als durch seine reguläre Heuer.
Doch trotz dieser Sammeltätigkeit, die bis ins 18. Jahrhundert anhielt und letztlich den Ursprung unserer heutigen Naturkundemuseen darstellt, gelangte kein Komodowaran nach Europa. Auch als Coenraad Jacob Temminck, der Gründer des Rijksmuseum van Natuurlijke Historie in Leiden, heute Naturalis, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die „Natuurkundige Commissie van Nederlandsch Indie“ gründete und eine ganze Generation junger Naturforscher im feuchtheissen Tropenklima Indonesiens verschliss, darunter etliche Deutsche, blieb der Komodowaran den Europäern verborgen.
(Deutschland war damals keine Nation und hatte keine überseeischen Besitzungen. Deutsche Naturforscher, die in Übersee arbeiten wollten, mussten sich in Nachbarländern verdingen. Von 14 Wissenschaftlern der Commissie starben neun in Indonesien vor Vollendung ihres 40. Lebensjahrs, zumeist an Krankheiten, darunter die Deutschen Heinrich Boie, Heinrich Kuhl und Heinrich Christian Macklot.)
Woran lag das? Die Holländer müssen die Geschichten der Einheimischen über eine grosse, fleischfressende Echse, die sie übersetzt „Landkrokodil“ nannten, gehört haben. Warum haben sie ihnen keinen Glauben geschenkt? Vielleicht, weil ihre Kulturen zu unterschiedlich waren. Die Menschen in Südostasien leben in einer Welt voller Monster, Geister und Dämonen. Die Anthropologin Hildred Geertz schreibt (zit. in Lutz & Lutz, 1997), dass
„… die Trennlinie zwischen der Welt der Geschichten und der realen Welt nirgendwo in Bali klar gezogen ist. Tatsächliche Begegnungen mit Dämonen und Zauberern, Wunderheilungen, seltsamen Todesfällen und geheimnisvollen nächtlichen Erscheinungen gehören dort zum Alltagstratsch… Die westliche Vorstellung von „Märchen“ als lediglich wunderbarer oder erschreckender Geschichten aus Phantasiewelten, wo das Unmögliche passieren kann, dürfte den meisten Balinesen sehr fremdartig erscheinen.“ (meine Übersetzung)
Wen wundert es da, wenn die Holländer den Geschichten über die Riesenechsen nicht energischer nachgingen. Das waren bestimmt nur irgendwelche Mythenwesen! Dass die Überbringer der Geschichten zu Übertreibungen neigten und den „Landkrokodilen“ Längen von bis zu 7 m andichteten, war da nicht gerade hilfreich. Und so dauerte es bis ins frühe 20. Jahrhundert, bis jemand den Schleier über dem Geheimnis der Riesenechsen von Komodo lüften konnte.
Allerdings war es wohl nicht der namenlose holländische Pilot, der im Jahre 1910 auf Komodo notlanden musste und unvermittelt den Drachen gegenüberstand. Für die Geschichte, die auch Adams und Carwardine wiederholten, und die sich fast wortgleich überall im Internet wiederfindet, gibt es nicht den geringsten Beleg. Verbürgt ist nur, dass fast 20 Jahre nach der wahren Entdeckung ein englischer Pilot auf der Nachbarinsel Sumbawa einen gefangen gehaltenen Komodowaran sah; eine Neuigkeit, die etwa so spannend ist, wie ein in China umgefallener Sack Reis, es aber doch in eine Londoner Tageszeitung schaffte, und durch Verwechslung von Daten und Details zum Mythos des Bruchpiloten-Entdeckers geführt haben mag. Wer weiss.
Tatsächlich verlief die Entdeckung eher profan. Der auf der Nachbarinsel Flores stationierte holländische Kolonialbeamte und Leutnant der Infanterie, J. K. H. van Steyn van Hensbroek, kannte die Geschichten vom „boeaja darat“, dem Landkrokodil und wusste, dass es im Westen der Insel sowie auf Komodo leben sollte. Komodo hatte damals vermutlich nur ein paar Dutzend Einwohner, überwiegend Sträflinge, die der Sultan von Sumbawa dorthin verbannt hatte. Es gab also eigentlich wenig Anlass, die Insel mit ihrem für die Gegend erstaunlich trockenen Klima zu besuchen, aber schliesslich machte van Steyn van Hensbroek sich im Verlauf des Jahres 1910 zu einer Inspektionsreise dorthin auf. Auf der Insel traf er zwei Europäer, von denen nur die Namen Kock und Aldegon überliefert sind. Sie bestätigten ihm, dass der „boeaja darat“ wirklich existiert, und gaben an, bereits mehrere Exemplare erlegt zu haben. Bald sah auch van Steyn van Hensbroek seinen ersten Drachen, und es gelang ihm, ein gut 2 m langes Exemplar zu erlegen.
Da er nicht wusste, um was für ein Tier es sich handelte, zog er ihm die Haut ab und schickte sie, nebst ein paar Beobachtungen, die ihm Kock und Aldegon mitgeteilt hatten, sowie einem Foto an den Major P. A. Ouwens, der damals Direktor des Zoologischen Museum und des Botanischen Gartens in Buitenzorg, dem heutigen Bogor in Java, war. Sofort schickte Ouwens ein paar erfahrene Tierfänger hinterher, denen es mit Hilfe der Dorfbevölkerung gelang, zwei erwachsene und zwei junge Komodowarane lebend zu fangen und nach Buitenzorg zu bringen. Im Jahre 1912 dann erschien seine Erstbeschreibung des Komodowarans, dem er den Namen Varanus komodoensis gab, zusammen mit dem Foto van Steyn van Hensbroeks und einem weiteren, das den grösseren der lebend gefangenen zeigte.

Die Entdeckung erregte sofort Aufsehen. Schon nach kurzer Zeit stellte die niederländische Kolonialregierung den Waran unter Schutz, um Trophäenjäger fernzuhalten. Für den Lebendfang waren Genehmigungen erforderlich. Bereits im Jahre 1926 gelangten die ersten Drachen in europäische und amerikanische Zoos, wo sie allerdings nicht lange am Leben blieben. Zwei davon wurden im Verlauf einer Expedition des American Museum of Natural History unter der Leitung von Douglas Burden gefangen – eher ein Jäger und Draufgänger als ein Wissenschaftler, aber wohlhabend, und er wusste für Publicity zu sorgen. So wurde die Expedition von einem Kameramann der Pathé-Wochenschau begleitet, der die ersten Filmaufnahmen in der Natur anfertigte. Die Aufnahmen gingen um die Welt. Merian C. Cooper, der Regisseur von „King Kong und die weiße Frau“ (1933) und zufällig ein Freund von Burden, soll einige Elemente des Reiseberichts sogar in seinem berühmten Film verarbeitet haben. Nichtsdestoweniger gelangen aber auch die ersten ausführlichen Freilandbeobachtungen des Komodowarans während dieser Expedition.
Zum ersten Mal sah ich einen Komodowaran Anfang der ´70er Jahre, als ich zu Hause auf dem Sofa sass. Im Fernsehen lief damals die Sendereihe „Auf den Spuren seltener Tiere“ des Tierfilmers Eugen Schumacher. Schumacher, der 1973 starb, ist heute kaum noch jemandem bekannt, doch er war einer der weltbesten Tierfilmer seiner Zeit. Unter anderem gelangen ihm wohl als Erstem Filmaufnahmen des seltenen Javanashorn. In seiner Sendung sass er mit einem Gesprächspartner in einem karg eingerichteten Studio, in meiner Erinnerung Pfeife rauchend und meist mit einem Anschauungsobjekt von einer seiner Reisen dabei, z.B. einem Walrosshauer. Nach einem kurzen Vorgespräch, in dem auf das Thema der aktuellen Sendung eingestimmt wurde, ging Schumacher zu einem riesigen Globus, drehte ihn solange herum, bis das Ziel der Reise in Sicht kam, zeigte mit dem Finger darauf, und los ging’s! So erfuhr ich, noch bevor ich 10 Jahre alt geworden war, was ein Komodowaran ist.
In Schumachers Sendung sah man vor allem, was schon die Zuschauer der Pathé-Wochenschau Jahrzehnte zuvor gesehen hatten. Zumindest erinnere ich mich nur an dies eine: Warane beim Fressen! Eine ganze Schar erschreckend grosser Echsen, die über und über mit einer Mischung aus Blut und Schlamm besudelt waren, die ihre Köpfe tief in die Leiber der Tierkadaver stiessen, die man ihnen als Köder hingelegt hatte, um die Gedärme herauszureissen. Diese Bilder prägten für lange Zeit meine Vorstellung, und offenbar auch die vieler anderer Menschen. Als nach der Gründung des Komodo-Nationalparks 1980 immer mehr Touristen auf die entlegene Sundainsel kamen, wollten viele offenbar genau diese Szenen live erleben, und so errichtete die Parkverwaltung eine Art Arena mit Zuschauerrängen und begann, die Drachen dort regelmässig mit frisch geschlachteten Ziegen zu füttern. Als Douglas Adams und Mark Carwardine die Insel in den 1980ern besuchten, wurden sie Zeuge dieses Spektakels, das sie als „Horror-Zirkusnummer“ bezeichneten. Die schon damals umstrittene Praxis ist denn auch seit 1994 abgeschafft.

Dabei sind Komodowarane gar nicht auf die Fütterung mit Aas angewiesen. Die erwachsenen Tiere sind erfolgreiche Grosswildjäger, die sogar ausgewachsene Wasserbüffel zur Strecke bringen können – wie man seit ein paar Jahren weiss, mit Hilfe von Gift aus Drüsen im Unterkiefer. Daneben bilden Wildschweine, Timorhirsche und verwilderte Haustiere ihre Hauptbeute. Das allerdings wirft eine ganz interessante Frage auf, denn alle diese Tiere sind nicht auf Flores, Komodo und den kleinen Nachbarinseln heimisch. Erst vor etwa 5000 Jahren brachten Menschen die ersten Haustiere und irgendwann auch Hirsche auf die Insel. Wovon ernährten sich die ausgewachsenen Warane vorher? Der durch seine Sachbücher bekannte Zoologe Jared Diamond schlug 1987 vor, sie könnten sich von Zwergelefanten der Gattung Stegodon ernährt haben, die bis vor 12.000 Jahren noch auf den Sundainseln einschliesslich Flores vorkamen. Das erweckt phantasievolle Vorstellungen. Doch selbst wenn das stimmen sollte, was bisher nicht erwiesen ist, was haben die Warane in den 7.000 Jahren dazwischen gejagt? Es geht hier ja nicht um die Nahrung der jungen und halbwüchsigen Tiere, die jede Art tierischer Nahrung nehmen, die sie bewältigen können. Vielmehr müssen auch die grossen, ausgewachsenen Exemplare von über 2 m Länge satt werden. Kleinsäuger, Eier, Meeresschildkröten, Schlangen – all das steht sicher auf ihrem Speiseplan. Aber reicht das?
Die Frage ist von Bedeutung, denn der Komodowaran gilt als gefährdete Art. Die IUCN stuft ihn seit 1996 als „gefährdet“ (vulnerable) ein, aber ohne nähere Angaben zu liefern, und die Einschätzung ist dringend revisionsbedürftig. Fast alle Quellen sind sich jedoch einig darin, dass der Mangel an Beutetieren eine der grössten Gefahren für den Komodowaran darstellt. Die Warane kommen heute auf den beiden grösseren Inseln Komodo und Rinca (gesprochen: Rintscha), auf den sehr kleinen Inseln Gili Dasami und Gili Motang sowie in zwei Gebieten im Westen und Norden von Flores vor (also auf der Insel, auf der bis vor 60.000 Jahren noch der Homo floresiensis lebte – auch er eine Beute des Komodowarans?). Auf der zwischen Komodo und Rinca gelegenen Insel Padar jedoch sind sie Ende der 1970er Jahre ausgestorben, und als Grund dafür wird meist der Mangel an Huftieren auf der Insel angegeben. Wilderei (auf Hirsche und andere Huftiere!) wird daher überall im Nationalpark, der alle Inseln mit Ausnahme von Flores umfasst, verfolgt. Doch wenn es zwischen 12.000 und 5.000 Jahren vor heute keine Huftiere auf den Inseln gab, wie haben sie dann überlebt? Die Frage scheint mir noch unbeantwortet.
Heute leben mehrere Tausend Komodowarane im Nationalpark und auf Flores. Sucht man im Internet nach genaueren Zahlen, dann stösst man auf derart kuriose Widersprüche, dass ich hier darauf verzichte, sie wiederzugeben. Alles in Allem dürften es zwischen 3.000 und 5.000 Exemplare sein. Neben der Wilderei auf ihre Beutetiere stellen vor allem Brände und wildernde Hunde eine Gefahr da. Der Grossteil ihres Lebensraumes ist jedoch Nationalpark, und auch auf Flores wurden Schutzgebiete eingerichtet, die aber nicht so streng kontrolliert werden. Der Tourismus verschafft den Dörfern der Region jährliche Einnahmen im sechsstelligen Bereich, auch nachdem die Fütterungen eingestellt wurden, von denen Douglas Adams und Mark Carwardine so angewidert waren. Die Menschen vor Ort, deren Zahl leider immer mehr zunimmt, sind sich durchaus dessen bewusst, was sie den Waranen verdanken. Man darf also die Hoffnung haben, dass der Komodowaran überlebt.
Quellen:
Auffenberg, W. 1981. The Behavioural Ecology of the Komodo Monitor. Gainesville: University Presses of Florida, A University of Florida Book. 406 pp.
Diamond, Jared M. 1987. Did Komodo dragons evolve to eat pygmy elephants?. Nature 326 (6116): 832. doi:10.1038/326832a0
Lutz, R. L. & Lutz, J. M. 1997. Komodo: The Living Dragon. Salem, Or: DiMI Press.
Mitchell, P. B. 1987. Here be Komodo dragons. Nature 329, 111. doi:10.1038/329111a0
Murphy, J., Ciofi, C. de la Pennouse, C. & T. Walsh (2002): Komodo Dragons – Biology and Conservation. Smithsonian Books, Washington.