
In den ersten drei Beiträgen dieser Artikelserie hatten wir gesehen, dass die Situation derjenigen Tierarten, die Adams und Carwardine besucht hatten, nicht gar so schlecht war wie befürchtet. Das Fingertier ist weiter verbreitet als angenommen (aber trotzdem stark bedroht), der Bestand des Komodowarans ist stabil geblieben, und die Zahl der Berggorillas hat sogar zugenommen. Also eigentlich Grund zum Optimismus, oder? Diesmal leider nicht…
Denn nach ihrem Besuch bei den Berggorillas ging es für Adams und Carwardine zu ihrem eigentlichen Ziel im damaligen Zaire, den
Nördlichen Breitmaulnashörnern
(Ceratotherium cottoni)
im Garamba-Nationalpark, im äußersten nordöstlichen Zipfel des Landes.
Die hatten schon eine ziemlich wechselvolle Geschichte hinter sich. Ihre Entdeckung verlief eher unspektakulär. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gelangten ein paar Schädel und Hörner von Breitmaulnashörnern nach Europa und Nordamerika. Großwildjäger hatten die Trophäen in der Lado-Enklave im heutigen Südsudan erbeutet. Die Lado-Enklave war ein Gebiet, das damals eigentlich zu dem unter britischer Verwaltung stehenden Ägypten gehörte, aber an König Leopold II. von Belgien verpachtet worden war und daher Teil seiner Privatkolonie, des Kongo-Freistaats, war. Bis dahin kannte man Breitmaulnashörner nur aus Gebieten, die mindestens 2.000 km weiter südlich lagen. Doch trotz der großen Entfernung schienen sich die nördlichen Vertreter nicht nennenswert von ihren südlichen Vettern zu unterscheiden. Aufgrund geringfügiger Unterschiede veröffentlichte der britische Zoologe Richard Lydekker im Jahre 1908 die wissenschaftliche Beschreibung der Tiere als Unterart unter dem Namen Rhinoceros simus cottoni (später Ceratotherium s. cottoni), zu Ehren des Großwildjägers Major Percy Powell-Cotton, der dem British Museum einen Schädel überlassen hatte. Dass er die Beschreibung in einer Zeitschrift für “field sports” (also Jagen, Angeln, Segeln, Golf und andere Sportarten für Gentlemen) veröffentlichte, und nicht in einem angeseheneren wissenschaftlichen Journal, unterstreicht, wie gering er die wissenschaftliche Bedeutung der Entdeckung einstufte.
[In 2010 veröffentlichte Colin Groves mit zwei Kollegen eine Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass das Nördliche und das Südliche Breitmaulnashorn nicht nur als Unterarten verschieden sind, sondern als getrennte Arten gelten müssen: Ceratotherium cottoni im Norden und Ceratotherium simum im Süden. Ich folge hier der Auffassung Groves’; die Begründung dafür würde allerdings zu weit führen. Der Studie zufolge trennten sich das Nördliche und das Südliche Breitmaulnashorn vor etwa 0,75–1,4 Millionen Jahren.]
Einen ganz anderen Stellenwert hatte die Entdeckung dagegen für die Großwildjäger. Das Breitmaulnashorn galt damals als das größte Landsäugetier nach den Elefanten, und für die südlichen Vertreter trifft das auch wohl zu (nur die indischen Panzernashörner (Rhinoceros unicornis) werden ähnlich groß). Damit waren sie eine besonders begehrenswerte Beute für die Jäger. Nur dummerweise waren die südlichen Breitmaulnashörner just zu der Zeit, als ihre nördlichen Vettern entdeckt wurden, durch die Großwildjagd (welch Ironie!) und die Ausweitung des Kulturlandes fast ausgerottet worden. Um 1895 existierten nur noch etwa 20 (!) Exemplare im Umfolozi-Gebiet in Natal, das daraufhin sofort zum Schutzgebiet erklärt worden war.
Da kam es wie gerufen, dass nun ein paar tausend Kilometer weiter nördlich doch noch “Weiße” Nashörner, wie sie damals (und im Englischen noch heute) genannt wurden, vorkamen. Sofort brachen Großwildjäger aus England, Frankreich, Deutschland und den USA auf, um sich ihre Trophäen zu sichern, oft nur halbherzig hinter dem Vorwand versteckt, diese zu wissenschaftlichen Zwecken einem Museum zu stiften. Noch im selben Jahr, in dem Lydekker seine Beschreibung veröffentlichte, posierte ein gewisser Winston Churchill, der sich gerade auf einer Reise von Kenia über Uganda den Nil herab nach Ägypten befand, neben einem von ihm höchstselbst erlegten Breitmaulnashorn. Im folgenden Jahr schied Theodore Roosevelt als jüngster US-Präsident der Geschichte mit 51 Jahren aus dem Amt, fühlte sich nicht genug ausgelastet, und wollte nur möglichst weit weg von Washington. Also brach er in Begleitung seines Sohnes Kermit zu einer Jagdreise nach Ostafrika auf, die von der Smithsonian Institution mitfinanziert wurde und so gleich einen wissenschaftlichen Anstrich bekam. Im Verlauf dieser einen Reise erlegten Roosevelt und seine Begleiter 14 Nördliche Breitmaulnashörner, inklusive eines Jungtiers und eines Fötus, die alle ins Smithsonian Museum gelangten.
Es ist aus heutiger Sicht oft ziemlich verstörend, zu lesen, wie die Jäger scheinbar auf jedes Nashorn schossen, das ihnen begegnete. Auch wenn Roosevelt und der Naturforscher Edmund Heller in ihren Berichten betonen, man habe nur soviele Tiere erlegt, wie aus wissenschaftlicher Sicht notwendig waren, und man habe mehr als doppelt so viele Tiere gesichtet, wie am Ende getötet, bleibt ein beklemmendes Gefühl. Etwa wenn Heller erzählt, man habe nun genug Nashörner gesammelt, nur um im nächsten Absatz lapidar anzufügen: “In returning from the vicinity of this village on the 29th, the Colonel [Roosevelt] met an exceptionally long-horned rhinoceros which he killed.” (Auf dem Rückweg aus der Umgebung des Dorfes am 29. traf der Colonel [Roosevelt] ein ungewöhnlich langhorniges Nashorn, das er erlegte.) Immerhin gelangen Kermit Roosevelt aber auch die ersten Freilandfotos lebender Nördlicher Breitmaulnashörner.
Niemand weiß, wieviele Tiere dieser Art damals existierten. Zur Zeit ihrer Entdeckung kam das Nördliche Breitmaulnashorn in fünf Staaten vor: im Nordwesten Ugandas, im Westen des Südsudans (in beiden Staaten nur westlich des Nils), im äußersten Nordosten der DR Kongo, im Ostteil der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) und im Südosten des Tschad. Als reine Grasfresser waren sie auf weite Ebenen mit spärlichem Baumbestand als Schattenspender angewiesen. Außerdem benötigen sie täglich Trinkwasser, das in der Region auch nicht überall verfügbar ist. Sicher war das Breitmaulnashorn schon immer seltener als das Spitzmaulnashorn, und aufgrund der Bejagung hielten es die Kolonialmächte rund dreißig Jahre nach seiner Entdeckung offenbar für nötig, die ersten Nationalparks speziell zum Schutz dieser Art einzurichten: Garamba 1938 im damaligen Belgisch-Kongo und den Southern-NP im folgenden Jahr im Sudan.
Doch der erste ernsthafte Versuch einer umfassenden Bestandsaufnahme anhand veröffentlichter Quellen erfolgte erst 1965 durch Jasmine Sydney. Demnach scheinen die letzten nachgewiesenen Abschüsse des Breitmaulnashorns im Tschad und in der ZAR in den Dreißigerjahren stattgefunden zu haben, auch wenn nicht ganz ausgeschlossen werden kann, dass einzelne Tiere länger überlebt haben. In Uganda dagegen schien sich der Bestand seit den Zwanzigerjahren zunächst wieder etwas erholt zu haben. Sidney gibt für 1957 über 300 Exemplare an. Doch nur wenige Jahre später kam A.J.E. Cave zu dem erschütternden Resultat, dass davon höchstens noch 80 Tiere überlebt hatten. Trotz des Versuchs, einige Tiere in den Murchison-NP umzusiedeln, war das Nördliche Breitmaulnashorn 1984 in Uganda ausgestorben.
Damit blieben nur der Sudan und die heutige DR Kongo. Für den Sudan wurde die Zahl der Breitmaulnashörner Anfang der Sechzigerjahre noch auf etwa 1.000 geschätzt, doch der Bürgerkrieg zwischen dem islamischen Norden und dem christlichen Süden, der 1955 begann, machte nicht nur genauere Bestandserhebungen, sondern auch Schutzmaßnahmen fast unmöglich. Die Bestände schrumpften schnell, und 1984 galt das Breitmaulnashorn auch hier als ausgestorben. Es gibt zwar bis heute immer wieder einmal Berichte über Sichtungen im Südsudan, aber diese konnten nie bestätigt werden und sind höchst unrealistisch.
Somit lag schon bald alle Hoffnung auf dem Garamba-NP im damaligen Zaire. Bei seiner Gründung waren hier nur noch etwa 100–200 Nashörner übrig, doch der strenge Schutz zeigte Wirkung. 1958 zählte man hier 1.081 Nördliche Breitmaulnashörner, und bis 1963 war der Bestand auf rund 1.200 Tiere angewachsen. Doch dann besetzten Rebellen aus dem Sudan den ganzen Park für drei lange Jahre, vetrieben die Wildhüter und metzelten die Tiere des Parks dahin. Als Curry-Lindahl 1966 den Park besuchte, fand er nur noch höchstens 100 Nashörner, was er eine “optimistische Schätzung” nannte (Curry-Lindahl, 1972). In den folgenden Jahren gab es widersprüchliche Zahlen aus dem Park, was vielleicht unterschiedliche Erfassungsmethoden widerspiegelt. Eine Stichprobenzählung aus der Luft ergab jedenfalls 1976 eine Schätzung von 490±270 Nashörner – eine erhebliche Spannweite, aber doch eine Zunahme. Dann kam der nächste Rückschlag. Zwischen 1978 und 1980 drangen erneut Wilderer in den Park ein, und 1981 konnten nur noch 35 Nashörner gezählt werden; 1984 sogar nur 15!
Es ist wichtig, sich noch einmal die Zahlen vor Augen zu halten: Anfang der Sechzigerjahre gab es im Sudan und in Garamba zusammen noch rund 2.000 Nördliche Breitmaulnashörner. Bis 1984 waren davon nur noch 15 in Garamba übriggeblieben. Was war geschehen? Die 1960er bis 1980er Jahre waren die Zeit eines beispiellosen Massakers unter afrikanischen Nashörnern. Die Großwildjäger aus Europa und Amerika gehörten zwar der Vergangenheit an, doch die Nachfrage aus Ostasien für die Traditionelle Chinesische Medizin war immer größer geworden. Aber ein Land befeuerte die Wilderei auf Nashörner während dieser Periode ganz besonders: der Jemen. Jemenitische Männer tragen noch heute als Statussymbol einen besonderen Krummdolch, den Jambiya, dessen Handgriff Auskunft über den sozialen Status seines Trägers gibt. Die wertvollsten und damit prestigeträchtigsten Jambiyas besitzen Griffe, das aus dem Horn des Nashorns gefertigt sind. Der wirtschaftliche Aufschwung in den 1970er und 1980er Jahren ließ die Nachfrage nach solchen Nashorngriffen dramatisch ansteigen. In der Folge wurden zeitweise 40% aller in Afrika gewilderten Nashornhörner in den Nordjemen geliefert. Ein einziger jemenitischer Hornhändler behauptete, zwischen 1970 und 1986 mehr als 36 Tonnen Horn importiert zu haben, was über 12.000 Nashörnern entsprochen haben dürfte! (Emslie & Brooks, 1999). Naheliegenderweise hatten darunter vor allem die Nashörner (Breitmaul- und Spitzmaul) des nördlichen Ost- und Zentralafrika zu leiden, denn die Schmuggler mussten nur wenige Grenzen überwinden. Schätzte man die Zahl aller Nashörner für ganz Afrika noch Anfang der 1960er Jahre auf rund 100.000 Tiere, so waren fünfundzwanzig Jahre später 90% davon vernichtet. In der ZAR wurde der Bestand des Spitzmaulnashorns in den vier Jahren von 1980–1984 von rund 3.000 Tieren auf etwa 170 reduziert – ein Rückgang um fast 95%. Damals verschwand diese Art, bis auf winzige Restbestände in Kamerun, die mittlerweile auch erloschen sind, aus dem gesamten Gebiet nördlich und westlich des Viktoriasees. Und auch das Nördliche Breitmaulnashorn wurde fast ausgelöscht.
In Garamba hatten die Nashörner im 20. Jahrhundert schon drei Perioden massiver Jagd und Wilderei überlebt: zunächst die Zeit zwischen ihrer Entdeckung und der Gründung des Nationalparks, dann die frühen Sechziger, als Kongo und Sudan um ihre Unabhängigkeit kämpften, und schließlich die späten Siebziger und frühen Achtziger, als der Schmuggel in den Jemen auf dem Höhepunkt war. Doch es war noch nicht vorbei. Zwar nahm die Zahl der Nashörner noch einmal etwas zu; als Adams und Carwardine in Garamba waren, zählte man 22 Tiere, und 1995 sogar 31. Während des Bürgerkrieges Ende der Neunziger wurden auch wieder ein paar Nashörner gewildert, doch bis 2003 hielt sich ihre Zahl bei etwa 30. Es gab durchaus Hoffnung für das Überleben der Art. Hatte sich nicht auch das Südliche Breitmaulnashorn von seinem Allzeittief mit nur 20 Exemplaren wieder erholt, auf heute rund 20.000 Tiere? Doch noch ein letztes Mal kamen die Wilderer und töteten von 2003 auf 2004 etwa 2/3 der verbliebenen Nashörner. Die letzten Tiere verschwanden bald ebenfalls, und seit 2007 ist das Nördliche Breitmaulnashorn in der Natur ausgestorben.

Spätestens jetzt konzentrierten sich die Bemühungen derjenigen, die das Nördliche Breitmaulnashorn mit aller Macht erhalten wollten, auf die wenigen in Gefangenschaft lebenden Individuen, aber ich will mich mit dieser Geschichte nicht aufhalten. Heute leben noch drei vergreiste Exemplare, zur eigenen Sicherheit ihrer Hörner beraubt, in einem weitläufigen Gehege bei Ol Pejeta in Kenya, die nicht mehr für Nachwuchs sorgen werden, egal wie viel Geld für die modernsten Verfahren der Reproduktionsmedizin oder noch zu entwickelnde Techniken des Klonierens noch ausgegeben wird. Vielleicht kommen diese eines Tages anderen gefährdeten Arten zugute – für das Nördliche Breitmaulnashorn ist es zu spät. Es wird aussterben, und die drei Tiere in Ol Pejeta sind lediglich lebende Mahnmale dafür.
Das Nördliche Breitmaulnashorn ist in seinem Lebensraum nie wirklich erforscht worden. Gab es Unterschiede im Sozialverhalten oder in der Ökologie zum Südlichen Breitmaulnashorn? Was war sein Einfluss als Megaherbivorer auf die Graslandschaften des Sudangürtels? Nur eine Handvoll guter Farbfotos wurden von dieser Art je im Freiland gemacht. Die meisten davon schoß Mark Carwardine auf jener Reise mit Douglas Adams vor fast 30 Jahren. Sie zeigen offenbar alle das selbe Tier in verschiedenen Posen. Eins davon findet sich in “Die Letzten ihrer Art”, und weitere sind auf arkive.org zu sehen (die Thumbnails verlinken direkt dorthin).
Und das ist alles. Ein paar Schädel in Museen, einige Fotos und – für ein paar Jahre vielleicht noch – die bedauernswerten Tiere in Ol Pejeta. Das ist alles, was vom Nördlichen Breitmaulnashorn bleiben wird.
Literatur:
Cave, A.J.E. 1963. The white rhinoceros in Uganda. Oryx 7 (1): 26–29, map 1
Curry-Lindahl, K. 1972. War and the white rhinos. Oryx 11 (4): 263–267.
Emslie, R. 2011. Ceratotherium simum ssp. cottoni. The IUCN Red List of Threatened Species 2011: e.T4183A10575517. https://dx.doi.org/10.2305/IUCN.UK.2011–2.RLTS.T4183A10575517.en. Downloaded on 02 September 2016.
Emslie, R. and Brooks, M. 1999. African Rhino. Status Survey and Conservation Action Plan. IUCN/SSC African Rhino Specialist Group. IUCN, Gland, Switzerland and Cambridge, UK. ix + 92 pp.
Groves CP, Fernando P, Robovský J (2010) The Sixth Rhino: A Taxonomic Re-Assessment of the Critically Endangered Northern White Rhinoceros. PLoS ONE 5(4): e9703. doi:10.1371/journal.pone.0009703
Hillman-Smith, K., Oyisenzoo, M. and Smith, F. 1986. A last chance to save the northern white rhino? Oryx 20 (1): 20–26.
Lydekker, R. 1908. The white rhinoceros. The Field, the country gentleman’s newspaper. Feb. 22, 1908, no. 2878: 319 (Download PDF)
Sidney, J. 1965. The past and present distribution of some African ungulates. Transactions of the Zoological Society of London 30: 1–397, figs. 1–39, maps 1–9