
Die Tatsache, dass wir noch immer viel zu wenig über die Tier- und Pflanzenwelt dieses Planeten wissen, wird ein wiederkehrendes Thema dieses Blogs sein. Immer wieder werden bislang unbekannte Arten entdeckt. Meist sind das irgendwelche Insekten oder wirbellose Meerestiere, aber viel häufiger als man denkt auch Wirbeltiere, z. T. sogar recht auffällige.
Vor einer Woche erschien in der Zeitschrift Zookeys die Beschreibung einer bisher unbekannten, äusserst attraktiv gefärbten Schlangenart aus Mexiko. Auch die Naturschutz-News-Website Mongabay berichtete darüber.
Beim Stichwort “Schlangen” denken viele Leute spontan nur an zwei Gruppen dieser Tiere: die Giftschlangen und die Riesen- oder Würgeschlangen. Doch von den über 3.600 Schlangenarten auf der Welt sind nur knapp 20% so giftig, dass ihr Biss bei Menschen gesundheitliche Probleme (das schliesst den Tod leider mit ein) verursachen könnte. Und zu den eigentlichen Riesenschlangen aus den Familien der Boas und Pythons gehören gerade einmal rund 100 Arten. Die überwältigende Mehrheit aller Schlangen ist also – nach menschlichen Maßstäben – harmlos und damit für viele Menschen uninteressant. Das ist ziemlich schade, denn über die allermeisten dieser Arten erfährt man deshalb leider kaum etwas. Dabei sind viele davon nicht nur äußerst farbenprächtig, sondern verfügen auch über spezielle Anpassungen und eine hochinteressante Ökologie.
Eine dieser recht unbekannten Verwandtschaftsgruppen aus der Familie der Nattern (Colubridae) sind die Dipsadinae. Mit mehr als 750 Vertretern enthält allein diese Unterfamilie mehr Arten als alle Giftschlangen (Vipern, Grubenottern, Giftnattern, Seeschlangen) zusammen. Dennoch findet man im Netz kaum Informationen über sie, die über eine simple Auflistung der bereits bekannten Arten hinausgehen. Bekannt ist allerdings, dass viele Arten sich auf die Ernährung mit Gehäuseschnecken spezialisiert haben und dementsprechend im Deutschen den Namen Schneckennattern tragen, während z.B. die Mussurana (Clelia clelia) Jagd auf andere Schlangen (auch giftige!) macht.
Zu dieser Unterfamilie gehört auch die neuentdeckte Art aus Mexiko, die von den Erstbeschreibern nach ihrem Sammler und Entdecker Geophis lorancai genannt wurde, und die eine Länge von etwas über 30 cm erreicht. Die Gattung Geophis umfasst damit jetzt 50 Arten, die von Mexiko bis Kolumbien verbreitet sind. Ihre Vertreter sind überwiegend recht unscheinbar, graben unter der Erde und ernähren sich wohl meist von Regenwürmern. Dementsprechend werden sie selten gesehen und man weiß nicht viel über sie. Das zeigt sich auch daran, dass ich im Netz nicht ein einziges frei verfügbares (unter Creative Commons) Foto einer Geophis-Art finden konnte, mit Ausnahme des hier gezeigten Fotos der neuen Art, das der Erstbeschreibung entstammt. (Man kann ZooKeys nicht genug dafür loben, dass sie ihre Artikel nicht nur als Open Access, sondern auch unter einer Creative Commons-Lizenz veröffentlichen; eine gute Idee, an der sich viel mehr Journale ein Vorbild nehmen sollten!)
Viele Geophis-Arten haben eng begrenzte Vorkommen und kommen nur in bestimmten Vegetationstypen vor, was sie potentiell anfällig für Gefährdungen macht. Geophis lorancai ist bisher nur aus zwei Gebirgszügen in den Bundesstaaten Veracruz und Puebla bekannt. Dort bewohnt sie dicht mit Epiphyten behangene Nebelwälder zwischen 1200 und 1700 m Höhe, hält sich aber ausschließlich in der Laubstreu am Boden oder unter umgestürzten Baumstämmen auf.
Von 46 Geophis-Arten, die bisher von der IUCN bewertet wurden, sind 21 als “Data Deficient” eingestuft. Das, sowie die Tatsache, dass Geophis lorancai bereits die siebte Art der Gattung ist, die seit dem Jahr 2000 neu beschrieben wurde, und die Erstbeschreiber noch mit weiteren Neuentdeckungen rechnen, unterstreicht, wie wenig tatsächlich über das Leben auf diesem Planeten bekannt ist.
Literatur:
Canseco-Márquez L, Pavón-Vázquez CJ, López-Luna MA, Nieto-Montes de Oca A (2016) A new species of earth snake (Dipsadidae,Geophis) from Mexico. ZooKeys 610: 131–145. doi: 10.3897/zookeys.610.8605