Verschollen im Bermuda-Dreieck

Mit die­sem Arti­kel habe ich im Sep­tem­ber 2016 am jähr­li­chen Blog-Schreib­wett­be­werb auf Astro­dic­ti­cum Sim­plex teil­ge­nom­men und einen guten sechs­ten Platz erreicht!

Kar­te der Ber­mu­das von 1676, wich­ti­ge Orte her­vor­ge­ho­ben. Via Wiki­pe­dia. Public Domain.

Mit­ten in einem Hur­ri­kan krach­te am 28. Juli des Jah­res 1609 die Sea Ven­ture, ein eng­li­sches Segel­schiff, auf ein Riff vor der Küs­te der Ber­mu­da-Inseln. Alle 153 Men­schen an Bord, Sied­ler für die neu­en Kolo­nien in Ame­ri­ka, sowie der Schiffs­hund gelang­ten wie durch ein Wun­der unver­sehrt an Land, wo sie die nächs­ten neun Mona­te ver­brach­ten. Aus den Trüm­mern ihres alten Schif­fes und dem Holz des damals noch reich­lich vor­han­de­nen Ber­mu­da-Wachol­ders bau­ten sie sich zwei neue, klei­ne­re Gefähr­te und segel­ten wei­ter, nach James­town, der jun­gen Kolo­nie in Vir­gi­nia, wo wei­te­re schreck­li­che Erleb­nis­se auf sie war­te­ten. Die Geschich­te die­ses Schiff­bruchs, und der Gescheh­nis­se danach, ist eine der span­nends­ten Epi­so­den der gesam­ten See­fahrts­ge­schich­te. Wer sie nach­le­sen will, dem emp­feh­le ich unbe­dingt, das Buch „A bra­ve ves­sel“ von Hob­son Wood­ward zu lesen. Es ist eine wah­re Geschich­te, in der Wör­ter wie Meu­te­rei, Kan­ni­ba­lis­mus, Elms­feu­er und India­ner vor­kom­men, und die die Lebens­ge­schich­te einer India­ne­rin namens Poca­hon­tas auf uner­war­te­te Wei­se mit der eines gewis­sen Wil­liam Shake­speare verknüpft.

Doch sie ist auch der Beginn einer gänz­lich ande­ren Geschich­te, die aber nicht min­der span­nend ist. Als im Spät­herbst des Jah­res 1609 die Lebens­mit­tel­vor­rä­te der Schiff­brü­chi­gen schwan­den, tra­fen gro­ße Schwär­me eines Mee­res­vo­gels auf den Ber­mu­das ein. Die Vögel lie­ßen sich auf einer klei­nen vor­ge­la­ger­ten Insel namens Cooper’s Island nie­der, wo sie began­nen, in Höh­len unter der Erde zu brü­ten, die die Sied­ler an Kanin­chen­bau­ten erin­ner­ten. Nachts, wenn die Vögel ihre Brut­plät­ze anflo­gen und die Luft über der Kolo­nie mit ihrem Geschrei erfüllt war, fühl­ten sich die Leu­te an das Trei­ben von Gespens­tern erin­nert. Das hielt sie aber nicht davon ab, nahe­zu täg­lich die Kolo­nie zu besu­chen, um die Vögel, die sie nach ihren Schrei­en „Cahow“ nann­ten, bei der Lan­dung vor ihren Brut­höh­len mit Knüp­peln tot­zu­schla­gen und gan­ze Boots­la­dun­gen davon als Nah­rung zurück in ihr Camp zu brin­gen. Auch als ein paar Jah­re spä­ter die ers­te fes­te Sied­lung auf den Ber­mu­das gegrün­det wur­de, und die neu­en Sied­ler bald dar­auf unter einer Hun­gers­not zu lei­den hat­ten, bedien­ten sie sich bei den uner­schöpf­lich schei­nen­den Men­gen an Cahows. Doch sehr schnell wur­den die Vögel sel­te­ner und immer sel­te­ner, wor­an auch eines der ers­ten Arten­schutz­ge­set­ze der Welt nichts änder­te. Schließ­lich ver­lor sich ihre Spur. Kei­ne zwan­zig Jah­re nach dem Schiff­bruch gal­ten sie als ausgestorben.

Zeit­sprung. Es ist der 22. Febru­ar 1906. Ob der jun­ge Lou­is L. Mow­bray die Geschich­ten über den Cahow kennt, als er auf dem win­zi­gen Fel­sen Gur­net Rock vor der Insel Cast­le Island Fels­lö­cher inspi­ziert, die sich nur weni­ge Meter über dem Mee­res­spie­gel befin­den, ist nicht über­lie­fert, genau­so­we­nig wie der genaue Zweck sei­ner Exkur­si­on. Es ist aber anzu­neh­men, dass er bes­tens Bescheid wuss­te. Mow­bray hat­te kei­ne for­ma­le Aus­bil­dung als Bio­lo­ge erhal­ten, war aber ein begeis­ter­ter Natur­be­ob­ach­ter und Mit­ar­bei­ter der Ber­mu­da Bio­lo­gi­cal Sta­ti­on, die erst drei Jah­re zuvor gegrün­det wor­den war. Noch ein Jahr frü­her hat­te der ame­ri­ka­ni­sche Zoo­lo­ge A. E. Ver­rill alles bis­her bekann­te über den Cahow zusam­men­ge­tra­gen, von dem noch immer nie­mand wuss­te, um was für eine Vogel­art es sich eigent­lich gehan­delt hat­te. Ver­rill glaub­te, der Cahow müs­se ein Alk gewe­sen sein, also ein Ver­wand­ter von Tord­alk und Papa­gei­tau­cher. Doch so weit süd­lich hat­te man noch nie Alken ent­deckt. Ande­re Orni­tho­lo­gen sahen im Cahow eher einen Vetre­ter der Sturm­vö­gel und Sturm­tau­cher, doch die Beschrei­bung pass­te auf kei­ne bekann­te Art. Als Mow­bray an jenem Febru­ar­tag in eines der Fels­lö­cher späht, blickt ihm ein Sturm­vo­gel ent­ge­gen. Er fängt den Vogel ein, wel­cher kurz dar­auf stirbt und in die Samm­lung des Ber­mu­da Muse­um of Natu­ral Histo­ry gelangt.

Teu­fels­sturm­vo­gel (Ptero­dro­ma hasi­ta­ta , eine mit dem Cahow eng ver­wand­te Art. Foto: Patrick Coin, via Wiki­me­dia Com­mons, CC BY-SA 2.5

Wenn es so etwas wie die ulti­ma­ti­ven Mee­res­vö­gel gibt, dann sind es die Sturm­vö­gel und ihre Ver­wand­ten, die Sturm­schwal­ben, Sturm­tau­cher und Alba­tros­se. Weit drau­ßen auf dem Oze­an ver­brin­gen sie den Groß­teil ihres Lebens. Bei Sturm­wind­stär­ken, zwi­schen meter­ho­hen Wel­len, sind sie erst rich­tig in ihrem Ele­ment. War der Anblick von Möwen, See­schwal­ben, Töl­peln und Tro­pik­vö­geln für die frü­hen See­fah­rer ein Anlass zur Freu­de, weil sie nun wuss­ten, dass Land in der Nähe war, gal­ten Sturm­vö­gel als Unglücks­brin­ger, als Sturm­bo­ten oder gar als Ver­kör­pe­rung der See­len ertrun­ke­ner See­leu­te. Die Röh­ren­na­sen, wie sie wegen ihrer merk­wür­di­gen Schna­bel­auf­sät­ze auch genannt wer­den, sind Vögel der Super­la­ti­ve. Zu ihnen gehö­ren mit dem Wan­der­al­ba­tross (Dio­me­dea exulans) der größ­te, und mit der nur spat­zen­gro­ßen Zwerg­sturm­schwal­be (Oceano­dro­ma micro­so­ma) der kleins­te aller Mee­res­vö­gel. Auf ihren Wan­de­run­gen legen sie zig­tau­sen­de von Kilo­me­tern zurück, um mit erstaun­li­cher Prä­zi­si­on in immer die­sel­be Brut­ko­lo­nie zurück­zu­keh­ren, die fast jedes­mal auf einer klei­nen, abge­le­ge­nen Insel liegt. Dort zei­gen vie­le der klei­ne­ren Arten dann Sei­ten, die man von der­art extre­men Mee­res­vö­geln nicht erwar­ten wür­de. Die Brut­plät­ze man­cher Arten lie­gen 1.500 – 3.000 m über dem Mee­res­spie­gel, oft mehr als 10 km von der Küs­te ent­fernt. Ande­re brü­ten in dich­tem Wald oder unter Far­nen, wo sie sich bis zu 5 m tie­fe Gän­ge ins Erd­reich gra­ben. Zudem sind fast alle der klei­ne­ren Arten am Brut­platz nacht­ak­tiv, um den Atta­cken hung­ri­ger Möwen und Fre­gatt­vö­gel zu ent­ge­hen. Mit lau­tem Geschrei machen die Brut­part­ner dort auf sich auf­merk­sam, um ein­an­der in der Dun­kel­heit zu fin­den. In der Dun­kel­heit der Höh­le brü­ten die Part­ner, die ein Leben lang zusam­men blei­ben, dann ein ein­zi­ges Ei aus und zie­hen das Jun­ge groß.

Zunächst schien Mow­bray nicht ganz klar zu sein, was für einen Fang er da gemacht hat­te. Immer­hin hat­te seit fast 300 Jah­ren kein Mensch mehr einen leib­haf­ti­gen Cahow gese­hen. Ein Kol­le­ge von ihm iden­ti­fi­zier­te den Vogel im Ber­mu­da Muse­um daher zunächst als einen ver­irr­ten Regen­sturm­vo­gel Ptero­dro­ma inex­pec­ta­ta), eine Art, die eigent­lich im Indi­schen und Pazi­fi­schen Oze­an hei­misch ist. Doch zehn Jah­re spä­ter änder­te Mow­bray sei­ne Mei­nung und beschrieb die­ses Exem­plar zusam­men mit John T. Nichols unter dem Namen Aes­t­re­la­ta (heu­te: Ptero­dro­ma) cahow als eigen­stän­di­ge Art. Auch wenn die bei­den es nur andeu­ten: mit der Namens­wahl lie­ßen sie kei­nen Zwei­fel dar­an, dass sie über­zeugt waren, nach fast 300 Jah­ren Unter­bre­chung einen leben­den Cahow auf­ge­spürt zu haben!

Doch das brach­te ein Pro­blem mit sich: ein ein­zel­ner Vogel macht noch kei­ne Art. Wo ein Cahow oder Ber­mu­da-Sturm­vo­gel, wie die Art im Deut­schen heißt, über­lebt hat­te, da muss­ten doch noch wei­te­re sein!? Doch das war nicht der Fall. Das Auf­tau­chen die­ses ein­zel­nen Vogels war so unwirk­lich, dass die Orni­tho­lo­gen auf den Ber­mu­das nicht wuss­ten, wie sie dar­auf reagie­ren soll­ten. Waren sie doch noch Zeu­gen des Aus­ster­bens die­ser Art gewor­den? War das von Mow­bray gesam­mel­te Exem­plar tat­säch­lich der letz­te Cahow gewe­sen, der je exis­tier­te? Falls nicht: wo brü­te­ten die Vögel dann?

Es dau­er­te quä­lend lan­ge 30 Jah­re, bis im Som­mer 1935 wie aus dem Nichts ein gera­de flüg­ge gewor­de­ner weib­li­cher Cahow gegen den Leucht­turm St. David’s Light in der Nähe von Cooper’s Island prall­te. Der bekann­te Zoo­lo­ge Wil­liam Bee­be (der mit der Tauch­ku­gel!) hat­te erst weni­ge Mona­te zuvor ver­geb­lich ver­sucht, leben­de Cahows auf­zu­spü­ren, und beschrieb nun den neu­en Fund. Ein wei­te­rer Vogel prall­te 1941 gegen eine Funk­an­ten­ne in St. George’s, wur­de zwei Tage lang gepflegt und wie­der frei­ge­las­sen. 1945 dann wur­de ein wei­te­rer tot ange­spült. Es schien, als sei die Zeit end­lich (wie­der) reif für den Cahow.

Im Jahr 1951 taten sich dann der Zoo­lo­ge und Spe­zia­list für Sturm­vö­gel, Robert C. Mur­phy aus New York und Mow­brays Sohn Lou­is S. Mow­bray zusam­men, um end­lich die Brut­plät­ze des Cahows zu fin­den. Ihnen war klar, dass auf den Haupt­in­seln kei­ne Sturm­vö­gel zu fin­den sein wür­den. Die Spa­ni­er, die die Ber­mu­das ent­deckt hat­ten, hat­ten schon Jahr­zehn­te vor dem Schiff­bruch der Sea Ven­ture Schwei­ne als leben­den Pro­vi­ant auf den Inseln aus­ge­setzt, die die Eier und hilf­lo­sen Jung­vö­gel aus ihren Höh­len aus­gru­ben. Schon die eng­li­schen Sied­ler hat­ten die Cahows nur noch auf vor­ge­la­ger­ten Inseln ange­trof­fen. Inzwi­schen gab es auch noch Hun­de, Kat­zen und Rat­ten auf Ber­mu­da. Nur klei­ne bis kleins­te Inseln, die von den Land­säu­gern nicht erreicht wer­den konn­ten, boten Aus­sicht auf Erfolg. Alle Fun­de seit 1906 waren in der Umge­bung von Cast­le Har­bor gelun­gen. Cooper’s Island war im 2. Welt­krieg durch Auf­schüt­tun­gen mit St. David’s Island ver­bun­den wor­den, so dass die Insel eben­falls aus­schied. Mur­phy und Mow­bray jr., beglei­tet von Mur­phys Frau und dem erst 15-jäh­ri­gen Schü­ler David Win­ga­te, kon­zen­trier­ten sich auf die win­zig klei­nen Fels­in­seln vor Cast­le Roads, der Meer­enge, die die Zufahrt zu Cast­le Har­bor bil­det. Und am 28. Janu­ar 1951 wur­de ihre Mühe belohnt. Im Schein einer Taschen­lam­pe sahen sie einen Vogel in einer Brut­höh­le sit­zen, knapp 2 m vom Ein­gang ent­fernt. Sie hol­ten ihn mit einer Schlin­ge her­aus, mach­ten ein paar Fotos und Noti­zen und lie­ßen ihn dann frei. Es war der lang­ersehn­te Cahow! Er kehr­te sofort in die Höh­le zurück, wo die For­scher ein Ei erken­nen konnten.

Cahow. FotoBer­mu­da Government via Wiki­me­dia Com­mons, CC BY-SA 3.0

In den fol­gen­den Wochen fan­den Mow­bray jr., die Mur­phys und Win­ga­te Hin­wei­se auf bis zu 14* besetz­te Nist­plät­ze, die sich auf drei der win­zi­gen Inseln ver­teil­ten. (Spä­ter kam noch eine vier­te Insel hin­zu). Damit hat­te sich die Zahl der bekann­ten Ber­mu­da-Sturm­vö­gel seit ihrer Wie­der­ent­de­ckung schlag­ar­tig ver­viel­facht. Den­noch waren 14 Brut­paa­re eine erschre­ckend gerin­ge Zahl für den gesam­ten Welt­be­stand einer Vogel­art. Es war klar, dass drin­gend etwas getan wer­den muss­te, um die Art zu erhalten.

* Nach ande­ren (durch­aus seriö­sen) Quel­len waren es 7, 17 oder 18 Paa­re. Man kann sich nur wun­dern, wie sol­che Wider­sprü­che ent­ste­hen. Die Zahl 14 stammt aus der Ori­gi­nal­ar­beit von Mur­phy & Mow­bray (1951).

Die offen­sicht­lichs­te Her­aus­for­de­rung waren zunächst ein­mal die Tro­pik­vö­gel (Pha­e­thon lep­turus). Die­se wun­der­schö­nen Mee­res­vö­gel mit ihrem schnee­wei­ßen Gefie­der und den ver­län­ger­ten Schwanz­spie­ßen haben auf den Ber­mu­das eine der größ­ten Kolo­nien in der Kari­bik. Lei­der brü­ten sie in den­sel­ben Höh­len in den Kalk­fel­sen, in die die letz­ten Cahows aus­wei­chen muss­ten. Als die Spa­ni­er die Inseln ent­deck­ten, waren die­se noch von einem dich­tem Wald, haupt­säch­lich aus Ber­mu­da-Wachol­der (Juni­pe­rus ber­mu­dia­na), Ber­mu­da oli­ve­wood Cas­si­ne lanea­num) und Ber­mu­da-Pal­met­tos (Sabal ber­mu­da­na) bedeckt. In der dicken Humus­schicht des Wald­bo­dens konn­ten die Cahows ihre Nis­t­röh­ren gra­ben und muss­ten kei­ne Kon­kur­renz fürch­ten. Doch je mehr sie auf die kar­gen, vor­ge­la­ger­ten Inseln abge­drängt wur­den, des­to schlech­ter wur­den die Nist­be­din­gun­gen. Dort muss­ten sie mit Klüf­ten und Spal­ten im Kalk­ge­stein vor­lieb neh­men, in denen nor­ma­ler­wei­se die Tro­pik­vö­gel opti­ma­le Nist­be­din­gun­gen vor­fan­den. Wenn die­se am Brut­platz ein­tref­fen, sit­zen die jun­gen Cahows bereits im Nest. Das hält die Tro­pik­vö­gel aber nicht davon ab, die Cahow-Küken zu töten und die Höh­len für sich selbst in Beschlag zu neh­men. Als die Cahows wie­der­ent­deckt wur­den, fie­len mehr als 60% aller Cahow-Küken den Tro­pik­vö­geln zum Opfer. Die Lösung waren künst­li­che Nis­t­röh­ren aus Beton, die genau so bemes­sen waren, dass die Cahows hin­ein konn­ten, die grö­ße­ren Tro­pik­vö­gel aber nicht. Spä­ter wur­den die­se Höh­len auch ver­wen­det, um Cahows an Orten auf den Inseln anzu­sie­deln, an denen es kei­ne geeig­ne­ten Natur­höh­len gab, die aber siche­rer vor Über­flu­tun­gen durch Hur­ri­ka­ne waren.

Weiss­schwanz-Tro­pik­vo­gel. Foto: Yoos­hau, CC BY-SA 3.0

In den 1960ern mach­ten sich die Aus­wir­kun­gen von DDT bemerk­bar, obwohl die­ses Pes­ti­zid auf Ber­mu­da gar nicht ein­ge­setzt wur­de. Offen­bar gelang­te es über Flüs­se in die mari­ne Nah­rungs­ket­te und schließ­lich in den Golf­strom, genau in jene Regi­on, wo die Cahows haupt­säch­lich ihrem Nah­rungs­er­werb nach­ge­hen. Die Fol­ge waren brü­chi­ge Eischa­len und eine deut­lich ver­min­der­te Schlupf­ra­te. Erst 1962 hat­te Rachel Car­son in ihrem Buch „Silent Spring“ auf die Aus­wir­kun­gen die­ses Umwelt­gifts hin­ge­wie­sen, doch es dau­er­te bis 1972, bis DDT in den USA ver­bo­ten wur­de. Eini­ge Jah­re danach stieg die Schlupf­ra­te der Cahows wie­der deut­lich an.

Die Pro­ble­me wech­sel­ten sich ab. Als die NASA und die US-Navy Stand­or­te auf Cooper’s Island aus­bau­ten, stör­te die extrem hel­le Beleuch­tung die­ser Stand­or­te, kaum 1 km von den Brut­plät­zen der Cahows ent­fernt, das nächt­li­che Balz­ver­hal­ten der Vögel, bis sie auf Drän­gen der Regie­rung der Ber­mu­das abge­stellt wur­de und die Stand­or­te kurz danach auf­ge­ge­ben wur­den. Im Win­ter des Jah­res 1987 tauch­te dann zu jeder­manns Erstau­nen eine Schnee­eu­le (!) auf der sub­tro­pi­schen Insel auf und ließ sich aus­ge­rech­net auf den Brut­fel­sen der Cahows nie­der, wo sie inner­halb weni­ger Wochen meh­re­re Sturm­vö­gel töte­te und fraß. So sehr sich die Natur­freun­de auf den Ber­mu­das auch über das Erschei­nen die­ses „exo­ti­schen“ Vogels freu­ten – die Cahows waren zu kost­bar, um mit ihnen einen nor­di­schen Win­ter­gast durch­zu­füt­tern, der viel­leicht auf den Ber­mu­das sel­ten war, auf dem ame­ri­ka­ni­schen Fest­land aber nicht. Also wur­de die Schnee­eu­le mit einem geziel­ten Schuss erlegt!

In den letz­ten 15 Jah­ren macht man sich nun immer grö­ße­re Sor­gen um die Fol­gen der Kli­ma­er­wär­mung. Die Ber­mu­das wur­den zuletzt von meh­re­ren, z.T. sehr hef­ti­gen Hur­ri­ka­nen getrof­fen, die die klei­nen Inseln stark ero­die­ren lie­ßen oder sogar über­flu­te­ten, und etli­che Brut­höh­len zer­stör­ten. Zum Glück kamen dabei kei­ne Sturm­tau­cher ums Leben, denn offen­bar ist die Brut­pe­ri­ode so getimt, dass sie außer­halb der Hur­ri­kan­sai­son liegt. Ver­än­de­run­gen im sai­so­na­len Mus­ter der Wir­bel­stür­me könn­ten den Vögeln aber sehr gefähr­lich wer­den, und auch so erfor­dert es nach jedem Sturm einen enor­men Arbeits­ein­satz, die zer­stör­ten Brut­höh­len wie­der herzurichten.

Alte Ber­mu­da-Wachol­der in einem Gar­ten auf Ber­mu­da. Foto: Aodhdubh via Wiki­pe­dia, CC BY-SA 3.0

Trotz alle­dem wuchs der Bestand der Cahows durch die inten­si­ven Schutz­be­mü­hun­gen von 18 Brut­paa­ren mit 8 Jung­vö­geln im Jahr 1960 auf 85 Paa­re mit 40 Jung­vö­geln im Jahr 2008 an. Inzwi­schen war aber all­mäh­lich deut­lich gewor­den, dass die vier win­zi­gen Brut­in­seln, die zusam­men eine Flä­che von gera­de ein­mal 1 ha besa­ßen, den Vögeln kei­ne lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ve boten. Doch schon 1963 hat­te David Win­ga­te – inzwi­schen pro­mo­vier­ter Bio­lo­ge – ein Pro­jekt initi­iert, das den Sturm­vö­geln neu­en Lebens­raum ver­sprach: das Pro­jekt „Non­such Island Living Muse­um“. Auf die­ser Insel, die mit 5 ha deut­lich grö­ßer war als die ande­ren Brut­in­seln, rekon­stru­ier­te Win­ga­te mit Hil­fe vie­ler Unter­stüt­zer ein Stück Ber­mu­da, wie es vor Ankunft der Men­schen ein­mal aus­ge­se­hen haben könn­te. Tau­sen­de ein­hei­mi­sche Bäu­me wur­den gepflanzt, die Rat­ten aus­ge­rot­tet, ein Pro­gramm zur Bekämp­fung inva­si­ver Pflan­zen­ar­ten gestar­tet, und künst­li­che Brut­röh­ren instal­liert. Vor allem aber gab es dort Erd­bo­den, in dem die Cahows sel­ber Höh­len gra­ben konn­ten. Nach­dem aus den Pflan­zun­gen ein rich­ti­ger Wald gewor­den war, konn­te es los gehen. Von 2004 bis 2008 wur­den ins­ge­samt über 100 Cahow-Küken aus ihren Höh­len auf den vier klei­nen Inseln ent­nom­men und nach Non­such Island gebracht. Hier wur­den sie mit Ancho­vies und Tin­ten­fi­schen gefüt­tert, bis sie schließ­lich flüg­ge wur­den und die Insel ver­lie­ßen. Im Jahr 2008 kehr­ten die ers­ten der umge­sie­del­ten Sturm­vö­gel nach Non­such zurück, und ein Jahr spä­ter brü­te­te – zum ers­ten Mal seit 400 Jah­ren! – ein Pär­chen Cahows auf Non­such Island und zog erfolg­reich einen Jung­vo­gel groß. Seit­dem ist auf der Insel eine klei­ne Kolo­nie ent­stan­den, und die Natur­schüt­zer pla­nen bereits die Grün­dung einer wei­te­ren. Um die Ansied­lun­gen zu för­dern, hat man sogar eine solar­be­trie­be­ne, zeit­ge­steu­er­te Sound­an­la­ge instal­liert, die den Vögeln Balz­ru­fe ihrer Art­ge­nos­sen vor­spielt, um sie zur Lan­dung zu bewegen.

Auch die Erfor­schung der Lebens­wei­se des Cahow kommt vor­an. In einer Höh­le auf Non­such Island hat man eine Web­cam instal­liert, die wäh­rend der Brut­zeit lücken­lo­se Beob­ach­tun­gen der Jun­gen­auf­zucht ermög­licht (Da im Moment kei­ne Brut­sai­son ist, gibt es dort ersatz­wei­se Vide­os zu sehen). Außer­dem wur­den eini­ge Vögel mit Daten­log­gern aus­ge­rüs­tet, mit denen man die Vögel auch auf ihren lan­gen, ein bis zwei Wochen dau­ern­den Nah­rungs­flü­gen ver­fol­gen kann. Seit­dem weiß man, dass ein­zel­ne Cahows bis zu 7.000 km am Stück flie­gen und dabei sogar den Pack­eis­rand im Nord­at­lan­tik errei­chen kön­nen. Im Jahr legen Cahows bis zu 100.000 km zurück!

Der Cahow ist nicht die ein­zi­ge vom Aus­ster­ben bedroh­te Sturm­vo­gel­art. Es gibt mitt­ler­wei­le Arten, die noch sel­te­ner und noch stär­ker bedroht sind als er. Er ist noch nicht ein­mal die ein­zi­ge Art, die für län­ge­re Zeit ver­schol­len war. Die abge­le­ge­nen Brut­plät­ze und nächt­li­chen Lebens­ge­wohn­hei­ten der meis­ten Arten machen die Erfas­sung von Vor­kom­men so außer­or­dent­lich schwie­rig, dass von man­chen Arten noch nie Nes­ter gefun­den wur­den. Gele­gent­lich wer­den sogar neue Arten ent­deckt, die bis heu­te der Auf­merk­sam­keit der Orni­tho­lo­gen völ­lig ent­gan­gen waren, erst 2011 z. B. ein Sturm­tau­cher namens Puf­fi­nus brya­ni. Aber kei­ne ande­re Vogel­art war je für einen so lan­gen Zeit­raum ver­schol­len wie der Cahow, um dann ein Come­back zu star­ten. Und auch, wenn die Rie­sen­schwär­me, die die Schiff­brü­chi­gen der Sea Ven­ture einst auf Cooper’s Island antra­fen, für immer der Geschich­te ange­hö­ren wer­den, so gibt es doch Hoff­nung, dass der Bestand des Cahows noch eine Wei­le wei­ter wächst: Im Jahr 2014 zähl­ten die Arten­schüt­zer 108 Brut­paa­re von sei­ner Art, die zusam­men 58 Jung­vö­gel erfolg­reich aufzogen!

Im Ber­mu­da-Drei­eck, so scheint es, ver­schwin­den nicht nur Din­ge – manch­mal tau­chen sie auch wie­der auf!

Die­ses Video fasst noch ein­mal vie­les von dem zusam­men, was ich hier geschrie­ben habe. Wer sich wei­ter infor­mie­ren will, fin­det noch vie­le wei­te­re Infos in den von mir benutz­ten Quel­len. Die wich­tigs­ten sind:

Lee, David S., 2015: Gulf Stream Chro­ni­cles. A natu­ra­list explo­res life in an oce­an river. Uni­ver­si­ty of North Caro­li­na Press. 304 pp.

Mur­phy, R.C & Mow­bray, L.S., 1951: New light on the Cahow, Ptero­dro­ma cahow. The Auk, 68(3): 266–280.  Down­load (pdf).

Ver­rill, A.E., 1902: The Ber­mu­da Islands. Pri­va­te­ly publ., New Haven. 558 pp.

Wood­ward, H., 2009: A bra­ve ves­sel: The true tale of the cas­ta­ways who res­cued James­town. Pen­gu­in, Lon­don. 268 pp.

sowie die Sei­te von Bird­life Inter­na­tio­nal zum Cahow.

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